Zukunft wird nicht pilotiert – sie wird organisiert. Was Deutschland vom EduTech SoftLab in Korea lernen kann.
- Leonard Sommer

- 29. Okt.
- 3 Min. Lesezeit

Es gibt Orte, an denen man das Gefühl hat, in die Zukunft hineinzuschauen. Mein Besuch im EduTech SoftLab an der Korea National University of Education war genau so ein Moment. Nicht wegen spektakulärer Technologie oder futuristischer Klassenzimmer, sondern wegen etwas viel Seltenerem: Klarheit im Prozess.
Während wir in Deutschland oft kleinteilig darüber diskutieren, wie EdTech sinnvoll eingeführt werden kann, wurde unserer Delegation in Korea gezeigt, wie es bereits geschieht – strukturiert, verantwortungsvoll und mit hoher Praxisnähe. Dort hat man verstanden, dass die Digitalisierung der Bildung kein Softwarethema ist, sondern ein Organisationsprinzip. Und genau das macht meiner Meinung nach den Unterschied.
Das EduTech SoftLab ist Teil eines landesweiten Innovationssystems. Von der Korea National University of Education aus werden regionale EduTech-Labs an weiteren Universitäten aufgebaut und koordiniert. Lehrkräfte, Forschende und EdTech-Unternehmen arbeiten dort in einem gemeinsamen Entwicklungsprozess – nicht technikgetrieben, sondern praxisorientiert und evidenzbasiert.

Das Modell folgt einem präzisen Ablauf, der Qualität erzeugt, statt sie nur zu kontrollieren:
Bedarf vor Produkt Der Prozess beginnt in der schulischen Realität. Schulleitungen und Lehrkräfte formulieren Herausforderungen, die sie lösen möchten – von adaptiver Förderung über Feedbacksysteme bis zu kollaborativen Lernformaten. Erst dann werden passende EdTech-Unternehmen eingebunden. Die Technologie folgt den pädagogischen Zielen – nicht umgekehrt.
Qualifiziertes Matching Schulen und EdTech-Unternehmen werden nicht zufällig zusammengebracht, sondern anhand klarer Kriterien gematcht: pädagogische Passung, Schulfachbezug, technische Infrastruktur, Datenschutzanforderungen und messbare Ziele für den Unterrichtseinsatz.

Zwei-Semester-Erprobung mit Iterationspflicht Phase 1 (Semester 1): Erprobung der Lösung in realen Unterrichtsszenarien, strukturierte Beobachtung und Problemdefinition. Sommerphase: Produktverbesserung durch das EdTech-Unternehmen auf Basis verbindlicher Rückmeldungen. Phase 2 (Semester 2): erneuter Einsatz, Wirksamkeitstest und Skalierungseinschätzung. Zentral ist: Jede Rückmeldung wird dokumentiert und erhält einen Umsetzungsstatus (umgesetzt, in Arbeit, nicht möglich – jeweils mit Begründung). So entsteht Verbindlichkeit und Transparenz im Entwicklungsprozess.
Transfer statt Pilotfriedhöfe Der Prozess endet nicht mit einem Abschlussbericht, sondern mit einem sogenannten Educational Deployment Model. Dieses enthält übertragbare Unterrichtskonzepte inklusive Lernzielen, Ablaufstruktur, Infrastrukturvoraussetzungen und beobachteter Wirkung. Ergebnisse bleiben nicht im Pilot stecken, sondern werden für andere Schulen anschlussfähig gemacht.
Diese Methodik hat mich beeindruckt, weil sie Verantwortung neu verteilt: Lehrkräfte bringen die pädagogische Perspektive ein, EdTech-Unternehmen die Innovationskraft, Universitäten das Prozess- und Wirkungsdesign. Es entsteht kein Konkurrenzverhältnis zwischen Praxis und Technologie – sondern eine kooperative Entwicklungsgemeinschaft.
Was heißt das für Deutschland?
Wir haben kluge Köpfe, engagierte Schulen und viele EdTech-Initiativen. Doch häufig bleibt Innovation auf der Strecke, weil klare Prozesse fehlen. Wir pilotieren zu viel und organisieren zu wenig. Projekte starten mit Energie und enden ohne Transfer. Datenschutz wird oft zu spät einbezogen. Wirkung wird selten gemessen. So lässt sich kein nachhaltiges Innovationssystem aufbauen.
Was wir aus Korea lernen könnten:
– Innovation braucht Struktur, nicht Zufall – Wirkung erfordert Dokumentation, nicht Eindrücke – Digitalisierung ist kein Einkaufsthema, sondern Prozessgestaltung – Qualität entsteht durch Iteration, nicht durch Ankündigungen – Skalierung braucht Modelle, die übertragbar sind
Entscheidend ist: Dieses SoftLab-Modell ist nicht nur auf EdTech anwendbar. Es eignet sich als Blaupause für die Skalierung von Schulinnovation und Schulentwicklung insgesamt – von Unterrichtsentwicklung über Fortbildung bis Schulorganisation. Ein lernendes Bildungssystem braucht genau solche Orte, an denen Neues gemeinsam mit der Praxis wissenschaftlich begleitet entwickelt wird.
Mein besonderer Dank gilt Prof. Seung-Hyun Kim von der Korea National University of Education und dem Team des Chungbuk EduTech SoftLab für die offene Einladung und die tiefen Einblicke in dieses Programm. Was dort entsteht, ist kein Technologieprojekt, sondern ein Zukunftsprinzip.
Wenn es Interesse gibt, stelle ich gern den Kontakt her. Vielleicht ist das Prinzip eine spannende Inspiration für das Team von SPRIND – der Bundesagentur für Sprunginnovationen – für ein skalierbares Betriebssystem der Schule von Morgen? Ebenso für das Referat Grundsatzfragen der Digitalisierung im Bildungsministerium?
Gerne organisiere ich einen vertiefenden Austausch, eine Einblick-Session oder sogar eine Delegationsanbahnung mit Korea – als Benchmark für ein zukunftsfähiges Innovationssystem in Deutschland.
Zukunft lässt sich nicht importieren. Aber wir können von denen lernen, die sie bereits organisieren.



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